24.07.2021 100km-Wanderung von Waldkraiburg nach Warngau

Martin, Kilian

Vor ein paar Monaten fragten wir - ich (49) und mein Sohn Kilian (17) - uns, was war die längste Tagestour, die wir bisher gemacht hatten. Nachdem das "nur" 38km waren (letztes Jahr am Jurasteig), dachten wir uns, gehen wir mal 50km.

Haben wir gemacht (https://bichlermartin.jimdofree.com/bergtouren/28-05-2021-50km-wanderung-von-bayrischzell-nach-warngau/).

Die waren schon recht anstrengend aber machbar. Schnell kamen wir auf den Gedanken, auch mal 100km zu wandern.

100km am Stück heißt, man muss eine Nacht durchwandern. Und nachdem die Nächte schon wieder länger werden, mußten wir es jetzt anpacken.

So gings dann los, am Samstag, den 24.07.2021 starteten wir um 13:21 mit dem Zug von Warngau nach Waldkraiburg. Von dort sollte es zu Fuß zurück nach Warngau gehen.

Um 15:21 angekommen, begann unsere Wanderung exakt um 15:30 am Bahnhof von Waldkraiburg.  Es ging kurz durch den Ort...

...und ab km 2 dann über Stock und Stein und durch Wald und Flur...

Wir kamen gut voran...

10km

...und legten bei Kilometer 20 unsere erst Pause ein. Der Rastplatz schien geradezu auf uns gewartet zu haben.

20km

Kurz nachdem wir weiter gegangen waren, drohte Ungemach von oben

Das Gewitter streifte uns zwar nur ganz am Rande...

...aber Regen und Blitze waren trotzdem reichlich. Eine Autowaschanlage bot uns Schutz.

Unsere ganz bewußt riesigen Regeschirme leisteten vortreffliche Arbeit. Sie schützten uns vor dem Wasser von oben. Gegen das Wasser von unten in Form von nassem Gras halfen unsere Gamaschen. Wer jemals im Winter in den Bergen unterwegs war, weiß um deren Nützlichkeit.

Es wurde langsam dunkel und wir absolvierten Kilometer um Kilometer.

Unsere geplante Route führte uns in den Wald. Dort war die Wegfindung aufgrund Dunkelheit und zugewachsener Pfade allerdings nicht ganz einfach und wir beschlossen, den Wald zu verlassen, um unseren Weg zunächst in besser begehbarem Gelände fortzusetzen. Später kehrten wir dann zurück. Der Ebersberger Forst mit seinen breiten Wegen war deutlich angenehmer.

Beim Verlassen des Waldes gelangten wir in eine Kiesgrube, in der wir planlos den Ausgang suchten. Man bedenke, die Sicht mit Stirnlampen ist beschränkt und der Weg war sandig und matschig. Laut Wanderapp gab es zwar auch in der Kiesgrube Wege, aber mit der Realität stimmten diese nur mäßig überein. Schließlich entkamen wir durch Erklimmen einer Böschung und folgten erst mal der B12.

Kilometer 30 und 40 wurden abgespult. Die Müdigkeit in unseren Gesichtern ist jetzt schon deutlich zu erkennen, es war bereits nach Mitternacht.

Die nächste Pause war bei Kilomter 42 auf einem windschiefen Jägerstand.

Die folgenden 18km bis Kirchseeon gings quer durch den Ebersberger Forst.

Jeder von uns kämpfte mit der Müdigkeit und schmerzenden Füßen. Die endlosen geraden Wege im Forst verlangen keine große Aufmerksamkeit, man setzt einfach einen Fuß vor den anderen, immer wieder, stundenlang.

Als endlich die Dämmerung anbricht, wir merken es kaum. Irgendwann machen wir unsere Lampen aus und siehe da "...es ist ja schon hell...".

In Kirchseeon bei Kilometer 60 ist erstmal Pause angesagt, gezeichnet von der Nacht.

Es war 5:30 morgens, Bäcker hatte noch keiner geöffnet. Unsere geplante Route würde uns weiterhin durch Waldgebiete führen, fernab jeder Backstube. Unsere Rettungsrufe gen Heimat, uns per Eilfahrt mit Kaffee, Wasser und Strom (PowerBank) zu versorgen, blieben ungehört. So fanden wir per Google Maps einen in Kürze öffnenden Bäcker in Oberpframmern, welcher fortan unser Ziel sein sollte. Kaum 2 Stunden später war es erreicht. Kurz zuvor rissen wir die 70km Marke in Niederpframmern.

70km

 

Der Bäcker rettete uns das Leben, a bissl pathetisch gesagt. Er gab uns neue Kraft durch frischen, heißen Kaffee, reichlich Donuts und anderem Süßgebäck. Auch unsere Wasservorräte konnten wir füllen. Nur bei unserem rapide zur Neige gehenden Energiespeichern in Smartphones und Wanderwatch konnte er uns nicht helfen, so dass wir uns die restlichen 30km auf deren notwendigsten Gebrauch beschränken mussten.

 

 

Nach über einer Stunde Pause brachen wir wieder auf. Wir überlegten kurz, ob wir die Dienste des Mitfahrbankerls in Anspruch nehmen sollten, konnten der Versuchung aber widerstehen.

Dank reichlich Speis und Trank und einer ausgiebigen Pause ging es jetzt deutlich angenehmer und flotter voran (erst mal - weiter unten mehr dazu), so dass wir kurz darauf die 80km knackten.

Hofoldinger Forst

Nach einer letzten Pause folgte Kilometer 90 und wir bogen in die Zielgerade ein.

90km

fast daheim

Und schließlich, oh Wunder, hatten wir es geschafft. Die 100km waren erreicht.

100km

Nur 800m später waren wir zu Hause. 

Hier der gesamte Verlauf.


Was gibt's noch zu sagen? Als wir uns vorher überlegten, diese 100km zu gehen, hatten wir uns zwei Ziele gesetzt.

1. 100km unter 24 Stunden zu gehen

2. mindestens 24 Stunden unterwegs sein.

100km in exakt 24 Stunden gehen, bedeutet eine Geschwindigkeit von 4,16km/h (ohne Pausen).

Unsere normale Gehgeschwindigkeit liegt bei ca. 5,5km/h. Aufgrund der langen Tour gingen wir von 5,0 km/h aus und planten 4 Pausen (alle 20km) á 30 Minuten. Damit kämen wir auf 22 Stunden, womit Ziel 1 erreicht wäre, wir aber für Ziel 2 weitere 2 Stunden gehen müssten. Das erschien uns nicht erstrebenswert und wir nahmen uns vor, bewusst langsamer zu gehen.

Wir haben die 100km in exakt 23 Stunden und 56 Minuten bewältigt. Ideal getimt, könnten man nun meinen. Aber so war's nicht.

 

Anfangs kamen wir gut voran. Das Gewitter hat uns eine halbe Stunde aufgehalten aber wir waren noch gut dabei. Die Nacht allerdings hat uns viel Zeit gekostet. Übermüdet durch dunklen Wald zu gehen ist hart.

Die "alle 20km Pause"-Regel war schon bald hinfällig. Wir machten Pause, wenn wir eine brauchten, oder wenn wir einen Streckenabschnitt geschafft hatten, z.B. nach dem Ebersberger Forst oder nach Erreichen des Bäckers.

 

Jedenfalls war unser Ziel "100km in 24 Stunden" nach 70km (beim Bäcker) und nach der über einstündigen Pause dort kaum mehr zu erreichen. Wir hatten noch 30km vor uns und nur noch 6 Stunden Zeit. Selbst wenn wir nur noch eine Pause einlegen würden, müssten wir sehr flott gehen, um es noch zu schaffen. Aufgrund des "Kriechgangs" in der Nacht hatten wir unsere Zweifel. Auch waren Kilians Füße ziemlich ramponiert, er hatte fiese Schmerzen bei jedem Schritt. Vorne waren die Zehen wund gescheuert, hinten die Ferse.

Aber, was soll ich sagen, die Pause hat uns sehr gut getan, Kilian konnte seine Füße mit reichlich Pflaster wieder halbwegs auf Vordermann bringen und es lief erst mal richtig gut. Wir schöpften Hoffnung.

 

Bis bei Kilometer 80 die Pflaster nicht mehr so die richtige Wirkung zeigten. Kilians Leiden wurden zunehmend wieder intensiver. Bei mir gings überraschenderweise relativ gut. Klar, schmerzende Füße hatte ich auch, das ist normal, aber weder Blasen, noch Druck-/Scheuerstellen und auch mein vor-über-30-Jahren-Kreuzbandriss-Knie gab keinen Mucks von sich. Vielleicht lags daran, dass meine Füße seit über 15 Jahren von dem selben Paar Wanderschuhe umschmiegt werden und sie praktisch eins geworden sind mit den Schuhen ;-). Wer weiß.

 

Aber Kilian hielt durch. Dass er die Strecke schaffen würde, daran hatte ich nie Zweifel, aber die Leidensfähigkeit, die er die letzten 20km bewiesen hat, um unseren Endspurt durchzuhalten ... Kilian, meinen allergrößten Respekt. Das macht dir keiner nach.

Dafür setzte er sich nach 100km auf den Boden und war erst nach moralischer Überzeugungsarbeit bereit, auch noch die letzten 800m, in sehr gemäßigtem Tempo, zu bewältigen.

 

Hier noch zwei Aussagen von Kilian, die sein Martyrium unterstreichen:

"Das war das Schlimmste, das ich jemals gemacht habe"

"Das mache ich nie wieder, auch nicht, wenn ich eine Milliarde Euro dafür kriege"

 

Ein Wort noch zu unseren Wasser- und Stromvorräten. Wir hatten nur jeder 2,5 Liter Wasser dabei. Das war zu wenig, das war uns klar, aber wir dachten, bis zum Morgen könnte es reichen und falls nicht, Wasser wird sich schon irgendwo finden. Tja, Pustekuchen, es wurde uns sehr schnell klar, dass es nicht bis zum Morgen reicht, aber es fand sich leider keine Quelle im Wald (wie auch, bei Dunkelheit), alle Tankstellen, die wir passierten, hatten geschlossen (war ja schon spät) und auch an einer Autowaschanlage war kein Wasserhahn zu finden. Und so mussten wir unseren Wasserkonsum in der Nacht ziemlich einschränken, was unserer Leistungsfähigkeit nicht unbedingt förderlich war. Beim nächsten Mal planen wir anders.

Auch mussten wir lernen, dass Smartphones mit laufenden Trackingapps sehr, sehr schnell leer werden. Eine PowerBank hatten wir zwar dabei, die reichte aber nicht. Also reduzierten wir das Tracking von 3 Geräten (2xSmarphone, 1x Watch) auf nur ein Gerät (Watch) und kamen gerade so über die Runden.

 


Fazit:

Eine 100km-/24Stunden-Wanderung muss man einmal in seinem Leben gemacht haben. Danke Kilian, dass du dabei warst, alleine hätt ich‘s nicht gemacht.